Allgemeine Anleitungen, wie Kakteen vermehrt, herangezogen und gepfropft werden, sind für den, der danach sucht, in früheren Aufsätzen und in Kakteenbüchern genügend vorhanden. Die folgenden Zeilen wollen nicht derartige Anleitungen wiederholen, ergänzen oder verbessern; ihre Absicht ist eine andere: Jeder Kakteenliebhaber hat seine besonderen Kakteensorgen, Wünsche und Ziele und sucht Mittel und Wege, seine Ziele zu verwirklichen. An drei Beispielen soll gezeigt werden, wie ein Liebhaber durch entsprechende Überlegungen die für seine Ziele geeigneten Wege der Kakteenvermehrung und -pfropfung sucht und findet.
Links Echinocactus grusonii, an der rechten Areole die beginnende Sprossbildung erkennbar;
rechts, Echinopsis grandiflora Areole mit schon entwickeltem Sproß; 1/3 nat. Grösse, Auf. R. Gräser
Ich hatte von dieser Echinopsis-Art "mit herrlichen, dunkelrosenroten Blüten" (Berger) eine Pflanze von 4 cm Durchmesser und Höhe erwerben können und hoffte, bei guter Pflege bald Blüten und Sprosse zu erhalten und mir allmählich eine Anzahl Pflanzen heranziehen zu können. Doch die Pflanze wuchs nicht und blieb dauernd schlecht bewurzelt. Im nächsten Frühjahr versuchte ich es mit Pfropfen auf Trichocereus spachianus. Beim Schneiden zeigten sich braune Fäden in den Leitungsbahnen der Achse; die übrigen Gewebe schienen gesund zu sein. Es erfolgte äußerlich ein gutes Verwachsen, die Pflanze wuchs aber wieder nicht. Im folgenden Frühjahr wurde nochmals geschnitten und gepfropft; auch diesmal ohne weiteren Erfolg. Die Pflanze war krank und weiteres untätiges Zuwarten zwecklos.
Vielleicht waren einzelne Areolen mit den nächst liegenden Gewebeteilen noch gesund und durch Pfropfen zur Bildung gesunder Sprosse zu veranlassen. Ich wollte so viele Pfröpflinge machen, als die Pflanze Areolen besaß, und diese Arbeit so gut wie möglich vorbereiten. Zunächst durchschnitt ich eine -etwa gleich große- gewöhnliche Echinopsis-Hybride senkrecht, zerlegte sie in Rippen und suchte an senkrechten Schnitten erst festzustellen, wie die von den Areolen ausgehenden Leitungsbahnen zur Achse verlaufen. Bei meiner Echinopsis grandiflora gleicher Größe werden sie bei Areolen ähnlicher Lage auch in ähnlicher Richtung verlaufen, nahm ich an, und diese Richtung ungefähr zu kennen, war beim Herausschneiden der einzelnen Pfropfstücke wichtig. In unmittelbarer Nähe der Areolen konnte ich von den Leitungsbahnen mit bloßem Auge nichts erkennen, in 7 mm Entfernung waren sie deutlich sichtbar. So tief wollte ich schneiden, nicht tiefer, um den kranken Gefäßbündeln der Achse nicht zu nahe zu kommen. Jedes Pfropfstück mußte nach dem Herausschneiden notwendigerweise auch zwei seitliche Schnittflächen haben, und es bestand die Gefahr, daß die Pfröpflinge infolge zu starker Verdunstung an diesen Stellen eintrockneten.
Ich machte deshalb vorher zwischen je zwei AreoIen 7 mm tiefe, keilförmige Einschnitte in die Rippen und wartete dann drei Wochen, bis diese Wunden gut verheilt waren und die nach dieser Operation etwas welk gewordene Pflanze sich wieder erholt hatte. Als Unterlagen wurden
Schon im Sommer vorher hatte ich einen anderen Weg beschritten, der vielleicht auch Echinopsis grandiflora-Vermehrung liefern konnte. Eines Tages rief ein langjähriger Nürnberger Kakteenfreund, Herr Danzer an: Seine Echinopsis grandiflora blühe, ob ich nicht kommen wolle. Ich kam, konnte die herrliche Blüte bewundern und schließlich sogar die von Herrn D a n z e r abgeschnittene Blüte mit nach Hause nehmen. Sie enthielt noch Blütenstaub, bei mir aber erblühten am gleichen Tage Echinopsis tubiflora und Echinopsis multiplex variegata mit je einer Blüte. Welche Aussichten eröffnen sich da? Wenn die Bestäubung mit grandiflora-Pollen Erfolg hatte, konnten Pflanzen entstehen, die E. grandiflora sehr nahe kamen. War das nicht der Fall, so konnten in einer folgenden Generation grandiflora herausmendeln. Hoffend, daß kein Insekt mit der Bestäubung mir zuvorgekommen sei, schnitt ich zu Hause bei meinen Echinopsis-Blüten die oberen Blumenblätterteile und die Staubblätter vorsichtig heraus und belegte die Narben mit Blütenstaub aus der mitgebrachten grandiflora-Blüte. Ende September waren die Früchte reif; jede enthielt viele hundert kleiner schwarzer Samen.
Normalerweise waren die Samen im folgenden Frühjahr auszusäen und wuchsen im Laufe des ersten Jahres zu etwa 1 cm starken Pflänzchen heran. Bis zur Blühfähigkeit vergingen dann noch Jahre. Sollte es nicht möglich sein, in kürzerer Zeit die Sämlinge zu einer Größe von 1 cm, ja vielleicht von 2 oder mehr Zentimeter Durchmesser heranzuziehen? Warum wächst der eben aufgelaufene Sämling zunächst so langsam? Er braucht zum weiteren Wachstum Baustoffe; einen Teil der benötigten Nahrung holt er mit seinen wenigen Würzelchen aus der Erde, einen wichtigen Teil aus der Luft. Mit seiner oft kaum 6 qmm großen Oberfläche soll er die Luft einatmen und aus den in ihr enthaltenen 0,03% Kohlensäure seinen Kohlenstoffbedarf decken. In den meist blaßgrünen, oft gelblichgrünen jungen Sämlingen scheint noch wenig Chlorophyll entwickelt zu sein, und doch kann die Aneignung des Kohlenstoffs, die Bildung verwertbarer Baustoffe nur in chlorophyllhaltigen Zellen erfolgen.
Sämlingspfropfungen. Die Sämlinge hatten z.Z. der Pfropfung 1-2 mm Durchmesser.
Unterlagen: Selenic. macdonaldiae und Hyloc. purpusii. nat.Grösse, Auf. R. Gräser
Beim Pfropfen muß eine Verbindung zwischen den Leitungsbahnen von Unterlage und Pfröpfling entstehen. Bei einem 2 bis 3 Wochen alten Sämling sind die Gefäßbündel im Querschnitt auf kleinste Fläche, oft nur als Punkt erkennbar, zusammengefaßt. Geeignete Unterlagen müßten kräftig im Trieb, weich fleischig sein und die Gefäßbündel ähnlich nahe beisammen liegen. Das ist zum Beispiel der Fall hinter im Trieb befindlichen Spitzen von Selenicereen und Hylocereen. Bald nach der Samenernte, Mitte Oktober, säte ich einen kleinen Teil der Echinopsis-Samen aus, nicht in meinem auf kühle, trockene Überwinterung eingestellten Kakteenhaus, sondern in einem hierfür geeigneten Warmhaus in der Gärtnerei meines Bruders. Die Samen keimten im Laufe der dritten Woche nach der Aussaat. Nach vier weiteren Wochen begann ich zu pfropfen, und im Laufe des Dezembers pfropfte ich eine Anzahl Sämlinge auf Selenicereus macdonaldiae und S. hamatus, die schon längere Zeit vorher im Warmhaus möglichst hell aufgestellt waren, vollsaftig waren und teilweise sogar etwas Neutrieb zeigten. Nach einiger Übung gelangen die Pfropfungen zu über 50%, verwuchsen sehr gut und begannen, nach einigen Wochen zu wachsen.
Durch den weiter oben geschilderten erfolgreichen Versuch, Echinopsis grandiflora auf vegetativem Wege zu vermehren, ist der Versuch, eine gleiche oder ähnliche Pflanze durch Kreuzung zu erhalten, überflüssig und bedeutungslos geworden. Dennoch werden einige der Sämlinge weiter gepflegt und beobachtet. Sie haben jetzt, Ende des Sommers, 11 Monate nach der Aussaat, einen Durchmesser von 5 cm erreicht und besitzen eine E. eyriesii - ähnliche Bestachelung, wie sie auch E. grandiflora eigen ist. Nachdem in der Bestachelung die väterlichen Eigenschaften, die grandiflora-Merkmale, dominieren, wird das hoffentlich bei den in ein bis zwei Jahren zu erwartenden Blüten auch der Fall sein.
Der Artikel 'Über Kakteenvermehrung und -pfropfung', wurde 1943!!! von Robert Gräser in der Kakteenkunde veröffentlicht.